Ein Stück meines Lebens

Trauma -  es hat mich eingeholt

Ich weiß nicht recht, wie ich beginnen soll, oder wann genau es angefangen hat, meine Erinnerungen schwanken, und es kommen immer mehr Details dazu, immer mehr Erinnerungen, welche ich verarbeiten muss und lernen will damit um zugehen um damit leben zu können, denn ein "vergessen" wird es nicht geben.

Die erste Erinnerung kam, als mein erster Mann 1996 starb. Erst kleine Erinnerungsblitze, immer wieder, einfach so, ohne besonderen Grund, doch so schnell wie die Erinnerungen kamen, so verschwanden sie auch gleich wieder, sodass es mich nicht sonderlich belastete, nur gleich wieder wegschieben.

 Nun nach so vielen Jahrzehnten... kommen die Erinnerungen nicht nur.... ich kann sie nicht mehr verdrängen. Ich kann es nicht erklären, Stück um Stück kommen neue Erinnerungen dazu.

 Ich wusste bis dieses Jahr nicht, dass mein Bruder als Kindergartenkind mit ansah, was mein Vater mir und meiner Schwester antat. Da mein Bruder grade mal 3 Jahre jünger ist, als ich, wurde mir klar, dass ich nicht erst 12 Jahre alt gewesen sein kann, sondern es schon sehr viel früher angefangen hatte.

Heute nach so vielen Gesprächen, weiß ich, dass ich höchstens 8 Jahre alt gewesen sein muss, wenn nicht noch jünger.

  Ich machte im Oktober /November 2011 eine vierwöchige Reha in einer Psychosomatischen Klinik. Leider hielt die Klinik nicht das, was versprochen wurde, nämlich Trauma Bewältigung, da die Trauma Station schon 6 Wochen vor meiner Anreise wegen Personalmangels geschlossen wurde, ich aber nicht darüber informiert wurde.

 Zwar gab es pro Woche einmal ein persönliches Gespräch von ca. 25 Min., doch da wurde nie auf meine Problematik eingegangen, vielmehr erzählte man mir, dass es keine Verlängerungen mehr gibt, da das Budget der Klinik überzogen sei, und vieles andere, was allerdings nur die Klinik betraf, und man bat mich doch der Klinik eine Chance zu geben.

In der ersten Woche durfte ich im Schnelldurchlauf erzählen wegen was ich eigentlich hier bin, ins Detail konnte man nicht gehen, da die 25 Min schon wieder um waren. Somit wusste die Therapeutin nur, dass ich als Kind missbraucht wurde, dass ich meinen ersten Ehemann an Krebs verlor, dass meine Tochter missbraucht wurde...stopp.

 In der zweiten Woche dann, informierte mich die Therapeutin darüber, dass sie den letzten Tag hier sei, denn sie habe gekündigt und ich werde an einen anderen Therapeuten verwiesen.

 In der dritten Woche dann hatte ich einen Therapeuten bekommen, dem ich wieder im Schnellverfahren erzählen sollte, und der mir dann sagte ,dass wie ich ja schon wisse, keine Verlängerung bekommen könne, und das ihm das sehr leid täte, und auch das nicht die Zeit war über meine Belange zu reden, er hätte sich seinen Job auch anders vorgestellt, nämlich das er mit den jeweiligen Patienten reden könne und nicht dreiviertel der Zeit hinterm Schreibtisch sitzen und irgendwelche Formulare ausfüllen muss.

 

So sahen meine Einzeltherapien aus...immer nur Klinik, Klinik und nochmal Klinik, doch wo blieb ich ?

In der vierten Woche, war ja dann das Abschlussgespräch, wo man mir eröffnete, dass das alles ja sicher nicht so gewesen sei wie ich es mir vorgestellt hätte, aber ich müsse ja auch wissen das man in 4 Wochen keine Trauma Arbeit leisten kann, dazu benötigte man sehr viel mehr Zeit.

 Was dachten die denn von mir? Dass ich dumm sei? Ich bin bestimmt vieles aber nicht dumm!!! Dass man in so kurzer Zeit keine Traumatherapie machen kann, das war mir von vornherein klar, doch Gespräche, oder zumindest die Spitze vom Eisberg nehmen, damit habe ich schon gerechnet.

 Was mir sehr guttat war die Tanztherapie, und ich merkte dort, ich war nicht alleine, fühlte mich verstanden, da die anderen 5 Frauen die gleiche Problematik hatten wie ich.

 So wurde ich nach 4 Wochen arbeitsunfähig entlassen mit der Auflage eine Traumatherapie zu machen. Kar, was anderes wollte und konnte ich doch auch nicht. Seit ich aus der Klinik entlassen wurde geht es mir noch schlechter als vorher, da nun alles hoch geholt wurde, die Erinnerungen immer häufiger und mehr kommen und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen, bzw. leben soll.

 Ein paar Tage nachdem ich aus der Reha entlassen wurde, wendete ich mich an den "Aufschrei“.

 Der "Aufschrei" wurde 1990 als gemeinnütziger Verein gegründet. Die Beratungsstellen bieten schnelle, kompetente und unbürokratische Hilfe -Beratung und Begleitung, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sexuelle Gewalt, und oder häusliche Gewalt erfahren haben oder erfahren. Aufschrei kooperiert mit anderen Einrichtungen um eine optimale Hilfe zu gewährleisten.

 Sie arbeiten parteilich für die Betroffenen, schenken ihnen Glauben und vertreten ihre Interessen. Dabei bewahren sie die Schweigepflicht, und beraten auf Wunsch auch anonym, und handeln ausschließlich mit Zustimmung der Betroffenen und Ratsuchenden.

 Home: www.aufschrei-ortenau.de

 Einmal wöchentlich habe ich nun beim Aufschrei 50 Min Gespräch Stunde, bis ich einen freien Therapieplatz zur Traumatherapie bekomme. Ich kann kaum sagen, wie froh und glücklich ich bin, das ich dort sein darf. Die Gespräche und die Hilfe egal welcher Art tun mir sehr gut.

Meist war ich dann am Ende der Gespräch stunde total fertig, so müde, dass ich

den Rest des Tages oft verschlafe, weil es mich sehr viel Kraft kostete, doch gleichzeitig

auch sehr hilft.

 Die einzigen Erinnerungen welche ich jahrelang hatte, bezogen sich eigentlich immer auf ein und das Selbe Geschehene.

 Als wir noch kleiner waren, legte sich unser Vater sehr oft zu uns ins Bett, und erzählte dann immer sehr spannende Geschichten, oft auch vom Krieg, wie das war als er Kind war, das war damals für uns Kinder voll spannend, sodass wir es gar nicht abwarten konnten, dass er uns wieder irgendwelche Geschichten erzählte, denen wir mit viel Interesse zu hörten.

 Ich sah meine 2 Jahre jüngere Schwester mit welcher ich das Zimmer teilte, wie sie meinen Vater welcher in Unterwäsche da stand und versuchte in ihr Bett zu gelangen, sie ihn aber mit ihren Füßen trat, so heftig und fortwährend , und dabei sagte er solle verschwinden, sie wolle schlafen, dass er irgendwann aufgab und das Zimmer verlies.

 Heute weiß ich, dass meine Schwester es immer mitbekommen hat, wenn unser Vater in mein Bett kam, und dass er auch sie missbrauchte.

 Irgendwann kam er in mein Bett, als meine Schwester schon schlief, zumindest dachte ich das. Zuerst glaubte ich, er wolle mir wieder Geschichten erzählen, doch das lies er sein. Er fing an mich zu streicheln.

Erst ganz zaghaft, beinahe wie ausversehen, über den Bauch, dann über meinen Busen , der schon sehr weit entwickelt war. Ich stellte mich schlafend, und bald darauf hörte er auf und ging. Diese Besuche kamen dann immer regelmäßiger, wenn unsere Mutter schon schlief. Irgendwann gingen seine Hände tiefer und er berührte mich zwischen den Beinen, fummelte mit seinen Fingern an meiner Klitoris herum, und versuchte mit seinem Finger in mich ein zu dringen. Ich lag jedes Mal da starr vor Angst und konnte mich nicht bewegen, hatte Angst zu atmen, er könnte bemerken, dass ich nicht schlafe. Hin und wieder hat er versucht mich zu küssen und streckte mir seine Zunge in den Mund, aber ich biss so fest auf meine Zähne, dass er dies sein ließ. Ich ekelte mich davor, musste auch immer an sein ekliges Gebiss denken und seinen nach Zigaretten und Alkohol stinkenden Atem einatmen. Von da an schlief ich nur noch auf der Seite, mit dem Gesicht zur Wand. Ich glaubte,

damit gäbe ich ihm keine Angriffsfläche mehr, doch das war für meinen Vater kein Hindernis.

 Irgendwann, es war Fasching, kamen meine Eltern Beide von einer Veranstaltung betrunken zurück. Sogar meine Mutter, welche niemals Alkohol trank, hatte einen Rausch. Ich hörte noch wie meine Mutter ins Bett plumpste, und als sie schlief, kam mein Vater wieder zu mir.

 Es war das Erste Mal, an dem ich spürte, dass mein Vater keinen Slip trug. Nachdem er mich wieder einige Zeit befummelt hatte, und sein erigiertes Glied an mir rieb, versuchte er von hinten in mich ein zu dringen. Er versuchte es immer wieder, doch da ich meine Schenkel ganz fest zusammen presste, und er auch keine Gewalt ausübte, gelang es ihm nicht, und hörte dann irgendwann damit auf.

 Er verließ mein Bett und sagte dann zu mir gewandt" Du kannst nun zur Polizei gehen und mich anzeigen, denn ich bin dein Vater."

Ich fing an zu weinen und antwortete nur, dass ich das nicht tun werde, weil er mein Vater ist.

 Lange Zeit konnte ich mich nur dies erinnern, und war im Glauben, dass es dann aufgehört hat, doch inzwischen kamen immer neue Erinnerungen dazu. Erinnerungen, als wir damals schon Jahre später in einen anderen Ort gezogen sind, und mein Vater mich immer noch befummelte, keine Gelegenheit verstreichen ließ, um mich wieder und wieder zu befummeln. Wieder und wieder kommen kleine Erinnerungsblitze, wie dass die Wand an meinem Bett voller Löcher war, die ich mit meinen Fingern hineinbohrte, und ganze Teile ohne Tapete war, die ich immer in ganz kleinen Stücken ab puhlte. Und vieles andere, woran ich mich nicht direkt erinnern kann was war, aber ich weiß ganz fest, dass etwas war, doch so sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich nicht erinnern.

Was blieb ist das grauenvolle Gefühl und der Abgrundtiefe Hass den ich in mir spüre, der immer mächtiger wird, je mehr Zeit vergeht.

Irgendwann habe ich das alles verdrängt und vergessen. Bis eben mein erster Mann starb. Ganz langsam kamen die Erinnerungen daran zurück.

Ich wollte und musste mit jemandem reden und habe mich damals meiner Schwägerin

anvertraut, die nichts Besseres wusste, als es meiner Mutter zu erzählen, welche mich darauf natürlich prompt ansprach. Aber ich wollte und konnte nicht mit ihr darüber reden und sagte ihr nur, es sei schon so lange her, und es wäre nicht der Rede wert, sie solle es ganz schnell vergessen. Nach einer Weile hatte ich es auch schon wieder verdrängt.

 Bis zu dem Tag, als meine damals 8 jährige Tochter mir gestand, dass auch sie missbraucht wurde.

Da waren sie wieder... die Erinnerungen.

 Ich wandte mich damals an den Weissen Ring,, welche uns sehr geholfen hatten. Als ich einmal ganz unten war, kam ein Anruf des Mitarbeiters, welcher uns zugewiesen wurde, und welcher uns immer zur Seite stand und auch immer wieder anrief und fragte wie es uns gehe.

 Mir ging es so schlecht, und da sprudelte das alles aus mir heraus. Ich war so fertig und so sehr am Weinen, dass ich nicht merkte wie Nicole ins Zimmer kam. Erst als sie ihren Arm um mich legte und mich streichelte. Ich dachte nur “Oh Gott“. Wir saßen zusammen und haben beide geweint. Irgendwann fragte mich meine Tochter, weshalb ich es nie meiner Mutter erzählte.

 Ja, warum?

 Weil ich ein Familienmensch bin und unheimliche Angst hatte meine Familie zu verlieren, womöglich ins Heim zu müssen.

Weil ich Schuldgefühle hatte und heute noch habe.

Hätte ich mich doch gewehrt, hätte ich nur einmal NEIN gesagt, geschrien, oder getreten wie meine Schwester. Immer wieder hätte!!!

 Das schlimmste was ich mir vorstellen kann, wäre das Nicole einmal genauso lange leidet wie ich es tue.

 Ich würde gerne alles noch mal auf mich nehmen, egal wie es war, wenn ich dafür ihren Missbrauch ungeschehen machen könnte.

 Es gab  eine Zeit, in der der Drang mit meinem Vater zu reden immer mächtiger wurde.

Ich hatte seit mein erster Mann damals starb damit zu kämpfen, dass wir uns nicht ausgesprochen hatten, es so vieles gab was mich sehr verletzte, und ich die Zeit nicht zurück drehen konnte, so vieles blieb ungesagt, dass mir heute noch einen Druck im Magen erzeugt, und dass wollte ich verhindern, dass es dann noch jemanden gibt, mit dem ich nichts mehr bereinigen konnte.

 Ich hatte trotz der dagegen sprechenden Ratschläge, die vom Arzt meines Vaters kamen, denn mein Vater litt inzwischen durch sein ständiges Saufen unter Alkoholdemenz. Er hatte schon mehre kleine Schlaganfälle und 3 Herzinfarkte.

Der Arzt meinte, es würde mir nichts bringen, denn so wie er meinen Vater kannte, würde es mir außer noch mehr Schmerzen nichts bringen. Ich sagte es auch meiner Mutter dass ich mit meinem Vater reden möchte, und überlies meiner Mutter die Entscheidung dabei zu sein oder nicht.

 Sie wollte nicht, aber die Türe ließen wir offen, sodass sie alles hören konnte

 Ich wusste erst nicht wie beginnen sollte. Zuerst sagte ich meinem Vater, dass das, was ich ihm sagen wolle ich nicht tue um ihm Vorhaltungen zu machen, sondern dass ich es ganz alleine für mich tue, und dass es schon schön wäre Antworten von ihm zu bekommen, denn ich wisse genau zu glauben, dass er sich daran noch erinnern konnte. Doch das Einzige was mein Vater dazu sagte war, dass er sich vielleicht gar nicht daran erinnern will,

und dass er das jetzt erst mal verdauen müsse. Das hat mir gezeigt, dass er sich erinnern konnte. Sicher es war nicht viel was er sagte, aber mir genügte es damals, musste es ja auch. Ich war schon froh, dass er überhaupt etwas sagte und nicht aufgestanden ist, oder stumm blieb oder sich gar vom Balkon stürzte, denn damit wäre ich wiederum auch nicht fertig geworden

 Erst danach sprach ich mit meiner Mutter und sie fragte immer wieder warum ich nichts gesagt habe. Allerdings erzählte ich auch damals meiner Mutter noch keine Einzelheiten bis heute weiß meine Mutter nicht was wirklich alles passiert ist.

 Trotz all dem holte ich meine Mutter und meinen Vater als es mit seiner Demenz immer schlimmer wurde und meine Mutter das alles nicht mehr alleine bewältigen konnte.

Wir suchten uns ein großes Haus, und lebten ab da mit meinen Eltern gemeinsam dort. Jeder hatte sein eigenes Bad, seinen Wohn, bzw. Schlafraum. Nur Küche und Esszimmer benutzten wir gemeinsam. Wir kochten und aßen zusammen.

 Ich kümmerte mich um meinen Vater, pflegte ihn, und wurde zu seiner gesetzlichen Betreuerin. Ich tat alles in meiner Macht stehende zu seinem Wohl.

 Ich kämpfte gegen Ärzte, gegen die Pflegekasse, einfach gegen Alles wenn es nötig war.. Nun fragt sich bestimmt mancher wie konnte ich das? Die Antwort ist einfach... ich weiß es nicht!!!

 Eigentlich sage ich immer ich tat es für meine Mutter, um ihr zu helfen und sie nicht mit all dem alleine zu lassen. Doch immer häufiger frage ich mich, war das so? Wollte ich nicht vielmehr meine Schuldgefühle damit unterdrücken??

 Ich konnte irgendwie unterscheiden zwischen dem Menschen, der sehr sehr krank ist, der auf meine Hilfe angewiesen war, und dem Menschen, der mein Vater war, der mir so Schreckliches angetan hatte.

Irgendwie schaffe ich das damals noch. Doch wenn wieder mal was von irgendeinem Missbrauchsopfer in den Medien kam, und mein Vater dann so Sprüche äußerte, dass solche Schweine abgeschlachtet sollten und sie es nicht wert wären zu leben... dann musste ich meine Wut und meinen Hass welcher daraufhin aufkam hinunter schlucken. Ich tröstete mich immer damit, dass , sollte mein Vater eines Tages tot sein... ich auch meinen Frieden finden würde und all das Schreckliche vergessen könne. Nur ist es nicht so.

 Mit seinem Tod im August 2009 fing alles erst richtig an.

 Oft wünsche ich mir, dass mein Vater noch einmal vor mir stehen würde, und ich ihm all meine Wut, ins Gesicht schleudern könne. Oft sehe ich in Gedanken, wie ich all meine Kräfte zusammen nehme und auf ihn ein boxe, wieder und immer wieder, und ihm dabei meinen ganzen Hass entgegen schleudere.

Ich habe schon oft daran gedacht mir einen Box Sack zu kaufen, sein Bild darauf zu kleben und dann drauf los zu boxen, doch ich habe schreckliche Angst, dass ich dann nicht mehr aufhören könnte, und ich mich dabei ganz verlieren würde, all meine Kraft welche ich noch in mir spüre, dass ich sie verlieren könnte, dass ich zusammenbreche, denn das ist etwas, was ich NICHT möchte.

Ich habe schon so viel Kontrolle über mich selber verloren, und die Angst dann ganz die´ Kontrolle zu verlieren... ist viel zu groß.

 

 Fortsetzung folgt...

 

 

 

              

 

 

 

 

 

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